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Von Alastia

Capitel I. Der Krieg zwischen Caliostos und Talasus Es war im zwoelften Jahre der Herrschaft des Caliostos, der in der groszen Stadt Nasudia als Koenig der Pyraeer regierte. Zur gleichen Zeyt regierte damals in Ekbatana Talasus als Koenig der Rawahden. Talasus hatte aus behauenen Steynen von drey Ellen Breyte und sechs Ellen Laenge rings um Ekbatana Mauern errichten lassen, die siebzig Ellen hoch und fuenfzig Ellen breit waren. Die Tuerme der Mauern hatte er ueber den Stadttoren hundert Ellen hoch aufgefuehrt; ihre Grundflaeche war sechzig Ellen breyt. Die Stadttore selber hatte er siebzig Ellen hoch und vierzig Ellen breit machen lassen, damit die Abteylungen seyner Helden und die Regimenter seyner Fusztruppen genuegend Raum zum Ausruecken hatten. Zu jener Zeyt fuehrte Koenig Caliostos Krieg gegen Koenig Talasus in der groszen Ebene, das heiszt in der Ebene im Gebiet von Regu. Talasus schlossen sich alle Bewohner des Berglandes an sowie alle, die am Luvas und Tiefenstrohm, am Hyraeum und im Flachland des Koenigs Elamith wohnten; es waren viele Voelker, die zum Aufgebot der Soehne Chalkadas zusammenstroemten. 1. Der vergebliche Hilferuf an die Nachbarvoelker Der Pyraeerkoenig Caliostos schickte Boten zu allen Bewohnern seynes Reyches und zu allen, die ihre Wohnsitze im Westen hatten. Doch alle Bewohner der ganzen Erde miszachteten den Befehl des Pyraeerkoenigs Caliostos und leysteten ihm keine Heeresfolge, denn sie hatten keyne Angst vor ihm; er war in ihren Augen nicht mehr als ein gewoehnlicher Mensch. Darum beschimpften sie seyne Boten und lieszen sie mit leeren Haenden wieder abziehen. Da entbrannte Caliostos‘ Zorn ueber all diese und er schwor bey seynem Throne und seynem Reych, an dem ganzen Gebiete Limestus bis Belartha Rache zu nehmen und alle dortigen Bewohner mit seynem Schwerte auszurotten. 2. Der Sieg ueber Talasus Im siebzehnten Jahre seyner Regierung griff er Koenig Talasus mit seynem Heer an und konnte den Kampf fuer sich entscheyden; das gesamte Heer des Talasus, seyne ganze Reiterey und all seyne Wagen jagte er in die Flucht. Er eroberte seyne Staedte und drang bis nach Ekbatana vor; er besetzte die Tuerme der Stadt, gab ihre Haeuser der Pluenderung preys und machte so ihre Pracht zuschanden. Talasus nahm er im Bergland von Regu gefangen, durchbohrte ihn mit seynen Speeren und setzte seyner Macht fuer immer ein Ende. Darauf kehrte er mit seynem ganzen Gefolge, einer fast unuebersehbaren Menge von Soldaten, nach Nasudia zurueck. Im Hochgefuehl seynes Erfolges feierte er dort mit dem Heer ein Freudenfest, das hundertzwanzig Tage lang dauerte. Capitel II. Der Plan Caliostos‘ Im achtzehnten Jahre seyner Regierung erging am zweiundzwanzigsten Tage des ersten Monats im Palast Caliostos‘, des Koenigs der Pyraeer, der Befehl, an der ganzen Erde das Strafgericht zu vollstrecken, das der Koenig angedroht hatte. Er rief alle seyne Minister und Generaele zusammen, hielt mit ihnen eine geheime Beratung ab und verfuegte mit seynem Wort alles Unheyl ueber die Erde. Auch seyne Berater waren der Meinung, dasz alle zu vernichten seien, die dem Worth des Koenigs nicht gehorcht haetten. 1. Der Auftrag des Enewalt Als Caliostos, der Koenig der Pyraeer, die Beratung beendet hatte, bestellte er Enewalt zu sich, den Oberbefehlshaber seyner Truppen, der nach ihm den hoechsten Rang einnahm, und sagte zu ihm: So spricht der Groszkoenig, der Herr der ganzen Erde: Du sollst von hier ausziehen und Maenner mit dir nehmen, die auf ihren Muth vertrauen: hundertzwanzigtausend Mann Fusztruppen und ein Aufgebot von zwoelftausend Pferden und Reitern. Du sollst gegen alle Laender im Osten zu Feld ziehen, weyl sie meinem Worth nicht gehorcht haben. Befiehl ihnen, schon Erde und Wasser bereytzuhalten. Denn ich will in meinem Zorn gegen sie zu Felde ziehen; die ganze Erde im Osten werde ich mit den Fueszen meiner Truppen bedecken und den Besitz der Menschen meinen Maennern zur Pluenderung preysgeben. Ihre Taeler sollen sich mit Gefallenen fuellen; jeder Bach und Flusz soll uebervoll werden von Toten. Ihre Gefangenen will ich bis an die Grenzen der Erde verschleppen. Zieh also aus und erobere mir ihr ganzes Gebiet! Alle, die sich dir ergeben, sollst du mir aufbewahren fuer den Tag ihrer Bestrafung. Alle aber, die Widerstand leysten, sollst du schonungslos dem Todt und der Pluenderung preysgeben in deinem ganzen Machtbereych. bey meinem Leben und bey der Macht meines Koenigtums - ich habe gesprochen und ich werde meinen Entschlusz ausfuehren. Du aber wag es nicht, auch nur einen einzigen Befehl deines Herrn zu uebertreten. Erfuelle, was ich dir befohlen habe; fuehr es unverzueglich aus! 2. Die Aufstellung des Heeres Enewalt ging von seynem Herrn weg und rief alle Befehlshaber, Feldherren und Hauptleute der pyraeischen Truppen zusammen. Er hob fuer das Heer die besten Leute aus, wie ihm sein Herr befohlen hatte: hundertzwanzigtausend Mann FuszVolck und zwoelftausend berittene Bogenschuetzen, und teilte sie in Kampftruppen ein. Fuer den Transporth der Kriegsgeraete beschaffte er sich eine gewaltige Menge von Pferden, Eseln und Maultieren; auszerdem brachte er eine unuebersehbare Herde von Schafen, Rindern und Ziegen fuer ihre Verpflegung zusammen, dazu reychlich Proviant fuer alle und sehr viel Gold und Silber aus dem Palast des Koenigs. Darauf setzte er sich mit seynem ganzen Heere in Marsch, um dem Koenig Caliostos voranzuziehen und alle Laender im Osten mit seynen Wagen, Reitern und Kriegern zu ueberfluten. Eine Masze von Hilfsvoelkern schlosz sich ihnen an, unuebersehbar wie ein Heuschreckenschwarm und wie der Sandt der Erde; man konnte ihre Menge nicht zaehlen. 3. Der Kriegszug des Enewalt Von Nasudia zogen sie dreye Tagesmaersche weit bis zur Ebene von Bektilet und schlugen jenseits von Bektilet in der Naehe des Gebirges, das im Norden liegt, ihr Lager auf. Von dort rueckte Enewalt mit seyner ganzen Streytmacht, seynen Fusztruppen, Reytern und Wagen, gegen das Bergland vor. Dann ueberschritt er den Luvas und zog durch die Lande der Limester; er zerstoerte alle befestigten Staedte am Flusz bis hin nach Norden zum Meer. Er eroberte das Gebiet von Limedoso und machte alle nieder, die ihm Widerstand leisteten. So kam er in das Gebiet von Tibos, das im Sueden liegt. Er kreiste alle Tobpsianer ein, steckte ihre Zeltlager in Brand und raubte ihr Vieh. Capitel III. Die Besetzung der Reiche an der Meereskueste Furcht und Zittern befiel alle Bewohner im Norden; auch die Einwohner von Mendrethis bekamen grosze Angst vor ihm. Sie schickten Boten zu ihm mit einem Friedensangebot und lieszen ihm sagen: Wir, die Sklaven des groszen Koenigs Caliostos, liegen dir zu Fueszen. Tu mit uns, wie du willst. Unsere Gehoefte, alle unsere Ortschaften und Weizenfelder, die Herden, das Kleyn- und Groszvieh in allen Herden an unseren Lagerplaetzen stehen dir zur Verfuegung. Verfahr damit nach deynem Belieben! Auch unsere Staedte mit ihren Einwohnern sindt dir untertan. Komm und verfahr mit ihnen nach deynem Willen! Mit dieser Botschaft kamen die Maenner zu Enewalt. Da stieg er mit seynen Truppen zur Kueste hinauf, besetzte die befestigten Staedte und hob dort die tuechtigsten Maenner aus zur Verstaerkung seynes Heeres. Die Einwohner der Staedte und des Landes empfingen ihn mit Kraentzen und unter Tanz und Paukenschlag. Doch er liesz alle ihre Kulthoehen zerstoeren und ihre Haine umhauen. Ihm war die Macht gegeben, alle Goetter der Erde zu vernichten. Alle Voelcker sollten nur Caliostos verehren und alle Staemme ihn als Acrulon anrufen. 1. Die Bedrohung der Belarthaner So kam er schlieszlich in das Gebiet von Belartha, das jenseits dem groszen schwarzen Gebirgszug liegt. Er schlug nahe Belmara sein Lager auf und blieb dort einen Monat, um den ganzen Trosz seynes Heeres zusammenzuziehen. Die Belarthaner hoerten von allem, was Enewalt, der oberste Feldherr des Pyraeerkoenigs Caliostos, den Voelkern angethan und wie er alle ihre Heiligtuemer gepluendert und vernichtet hatte. Da befiel sie Furcht und Schrecken vor ihm und sie hatten Angst um Tryx und den Tempel Acrulons, ihres Herrn. Capitel IV. Die Vorbereytung des Widerstandes Sie schickten Boten in das ganze Gebiet im Osten und in das Tal von Anatheyn, wo die Weysen wohnten. Sie besetzten alle hohen Bergkuppen, befestigten die Ortschaften und versahen sie mit Lebensmitteln fuer den Krieg, denn ihre Felder waren eben abgeerntet worden. Henaphos, der zu jener Zeyt Hoherpriester in Tryx war, schrieb an die Einwohner von Belmar und Taltaras, sie sollten die Gebirgspaesse besetzt halten. Durch sie konnte man nach Tryx vordringen. Es war aber auch leycht, den Vormarsch der Heranrueckenden dort aufzuhalten; die Gebirgswege waren naemlich so schmal, dasz jeweils nur zwey Mann nebeneinander hindurchgehen konnten. Die Belarhaner taten, was ihnen der Hohepriester Henaphos und die Aeltesten befohlen hatten. 1. Das Flehen zu Acrulon um Rettung Alle Maenner Belarthas aber flehten Acrulon instaendig an und taten Busze unter strengem Fasten. Sie selbst, ihre Weyber, ihre Kinder und ihr Vieh, aber auch alle Fremden, die bey ihnen wohnten, die Tageloehner und Knechte, legten Buszgewaender an. Alle Belarthaner in Tryx, ihre Weyber und Kinder warfen sich vor dem Tempel nieder, streuten sich vor dem Herrn Asche auf das Haupt und legten Buszgewaender an. Selbst den Altar umhuellten sie mit einem Buszgewande. Sie schrien alle einmuetig in stuermischen Gebeten zu dem Ewgen Vater, er moege doch nicht zulaszen, dasz man ihre Kinder raube, ihre Weyber als Beute verteyle, die Staedte ihres Erbbesitzes zerstoere und das Heyligtum entweyhe und verwueste, zum Gespoette fuer die Frevler. Und der Herr Acrulon hoerte ihr Rufen und sah auf ihre Noth. Das Volck fastete mehrere Tage lang in ganz Belartha und in Tryx vor dem Heyligtum Acrulons, des Allmaechtigen. Auch der Hohepriester Henaphos mit der ganzen Priesterschaft im Tempel und den Dienern des Herrn legten Buszgewaender an; so brachten sie das taegliche Brandopfer dar und dazu die gelobten und die freywilligen Opfergaben des Volckes. Auf ihren Kopfbundt hatten sie Asche gestreut und sie riefen mit aller Macht Acrulon, er moege doch gnaedig auf das ganze Haus Belartha herabschauen.

Capitel V. Der Kriegsrat bey Enewalt Enewalt, dem Oberbefehlshaber des pyraeischen Heeres, wurde gemeldet, dasz die Belarthaner sich zum Kriege geruestet, die Gebirgspaesse gesperrt, alle hohen Bergkuppen befestigt und in der Ebene Hindernisse angelegt hatten. Da entbrannte sein Zorn. Er berief alle Fuersten von Tolar, die Heerfuehrer von Kasuhn und alle Statthalter der Kuestengebiete zu sich und sagte zu ihnen: Sagt mir, ihr Soehne des Nordens, was ist das fuer ein Volck, das da im Bergland haust? Wie heiszen die Staedte, die es bewohnt? Wie grosz ist die Streytmacht dieser Leute und worin liegt ihre Craft und Staerke? Wer gebietet ueber sie als Koenig und Anfuehrer ihres Heeres? Und warum haben sie alleyn von allen Bewohnern des Ostens es abgelehnt, mir zu huldigen? . 1. Die Rede des Juras Da antWorthete ihm Juras, der Anfuehrer aller Mythaer: Moege mein Herr anhoeren, was sein Knecht ihm zu sagen hat. Ich will dir die Wahrheyt sagen ueber dieses Volck, das in dem Bergland hier in deiner Naehe wohnt; kein falsches Wort soll aus dem Mund deines Knechtes kommen. Diese Leute hatten sich zuerst in Olephatas, weit im Osten niedergelassen, weil sie den Goettern ihrer Vaeter im Land der Brunirer nicht mehr dienen wollten. Sie waren naemlich von dem Glauben ihrer Altvorderen abgewichen und hatten ihre Verehrung Acrulon, den sie den Ewgen nennen, zugewandt, zu dessen Erkenntnis sie gelangt waren. Deshalb hatten die Burnirer sie aus dem Bereych ihrer Goetzen vertrieben und sie waren nach Olephatas geflohen, wo sie sich einige Zeyt aufhielten. Doch Acrulon gebot ihnen, ihren Wohnsitz zu verlaszen und in das Land Belartha weyterzuziehen. Hier lieszen sie sich nieder und wurden reych an Gold, Silber und an riesigen Herden. Weil aber eine Hungersnot ueber das Land Belartha hereynbrach, zogen sie nach und blieben dort, solange sie Nahrung fanden. Dort wuchsen sie zu einer gewaltigen Menge heran und ihr Volck war nicht mehr zu zaehlen. Da schritt der Koenig von Galgamath gegen sie ein. Arglistig befahl er ihnen, in muehseliger Arbeyt Ziegel herzustellen. Man unterdrueckte sie und machte sie zu Sklaven. Sie aber schrien zu ihrem Acrulon und dieser schlug das ganze Land Galgamath mit Plagen, gegen die es keyne Abhilfe gab. Darauf jagten die Galgothen sie aus ihrem Land fort. Acrulon aber fuehrte sie den Weg zureuck ueber den Luves und die Gebirge und nahmen das ganze Bergland in Besitz und wieder lieszen sie sich dort fuer lange Zeyt nieder. Solange sie sich nicht gegen ihren Acrulon versuendigten, blieb das Glueck ihnen treu; denn ihnen steht ein Ewger bey, der das Unrecht haszt. Als sie aber von dem Weg abwichen, den er ihnen gewiesen hatte, wurden sie in vielen Kriegen mehr und mehr aufgerieben und schlieszlich als Gefangene in ein fremdes Land verschleppt. Der Tempel ihres Herrn wurde dem Erdboden gleychgemacht und ihre Staedte fielen ihren Feynden in die Hand. Jetzt aber haben sie sich wieder ihrem Herrn Acrulon zugewandt und sindt aus den Laendern heymgekehrt, in die sie verstreut worden waren. Sie haben Tryx, wo ihr Heyligtum steht, wieder in Besitz genommen und das verlaszene Bergland von neuem besiedelt. Wenn nun, mein Herr und Gebieter, auf diesem Volck eine Schuld lastet und sie sich gegen ihren Herrn versuendigt haben und wenn wir uns vergewiszert haben, dasz dieser Anlass zum Unheyl bey ihnen vorliegt, dann koennen wir hinaufziehen und sie vernichtend schlagen. Wenn aber ihr Volck sich nichts zu Schulden kommen liesz, dann moege mein Herr nur ja davon Abstand nehmen. Sonst wuerde ihnen naemlich ihr Herr Acrulon Hylfe leisten und wir mueszten uns dann vor aller Welt schaemen. 2. Die feyndliche Reaktion des Heeres Diese Rede des Juras rief bey allen Soldaten, die im Umkreys des Zeltes standen, Empoerung hervor. Die Offiziere des Enewalt sowie alle Bewohner der Kuestengebiete und von Gusath forderten, man solle ihn niederhauen. Sie sagten: Wir haben doch keyne Angst vor den Belarthanern. Sie sindt doch ein Volck, das weder die Macht noch die Kraft hat fuer einen harten Feldzug. Darum, Gebieter Enewalt, wollen wir hinaufziehen; sie sollen deynem ganzen Heer zum Frasz dienen.

Capitel VI. Die Rede des Enewalt an Juras Als sich der Laerm bey den Maennern, die um den Kriegsrath herumstanden, gelegt hatte, sagte Enewalt, der Oberbefehlshaber der pyraeischen Streytmacht, in Gegenwart des ganzen Soeldnerheeres zu Juras und zu allen Gusathen: Wer bist du denn, Juras, und was bedeuten schon diese Soeldner Gelberichs, dasz du dich heute in unserer Mitte als Prophet aufspielst und erklaerst, man duerfe das Volck Belartha nicht bekriegen, weil ein Ewger ihm Hylfe leiste? Gibt es denn ueberhaupt einen anderen Ewgen auszer Caliostos? Er wird seyne Macht aufbieten und sie vom Erdboden vertilgen, ohne dasz ihr Goetze sie rettet. Wir aber, seyne Knechte, werden sie schlagen wie einen einzigen Mann. Sie werden dem Ansturm unserer Reiterei nicht widerstehen koennen; mit ihr werden wir sie vernichten, sodasz die Berge von ihrem Blut getraenkt und die Felder mit ihren Leichen uebersaet sein werden. Sie werden uns nicht standhalten, sondern restlos untergehen. Das sagt der Koenig Caliostos, der Herr der ganzen Erde; er hat es so bestimmt und seyne Worthe koennen nicht zurueckgenommen werden. Aber du, Juras, Soeldner aus Duchtas, hast diese Worthe an deinem Unglueckstag gesprochen. Du sollst mir von heute an nicht mehr unter die Augen treten, bis ich die Rache an diesem Volck aus Belartha vollstreckt habe. Wenn ich dann zurueckkomme, soll das Schwert meines Heeres und die Lanze meiner Gefolgsleute auch deine Rippen durchbohren und du wirst zusammen mit ihren Toten dahinsinken. Meine Diener werden dich auf das Bergland schaffen und dich in einen der Orte an den Gebirgspaessen bringen. Dort sollst du gemeinsam mit ihnen umkommen. Wenn du aber in deinem Herzen die Hoffnung hegst, dasz sie nicht ueberwaeltigt werden, dann brauchst du nicht vor Angst zu zittern. Ich habe gesprochen und keines meiner Worthe wird unerfuellt bleiben. 1. Die Auslieferung Jurass Darauf befahl Enewalt den Dienern, die in seynem Zelt bereytstanden, Juras festzunehmen, ihn nach Tylis zu bringen und an die Belarthanern auszuliefern. Seyne Diener ergriffen ihn, fuehrten ihn aus dem Lager in die Ebene hinaus und brachten ihn in das Bergland hinauf. So gelangten sie zu den Quellen unterhalb von Tylis. Als die Maenner in der Stadt sie erblickten, griffen sie zu den Waffen und liefen aus der Stadt hinaus auf den Gipfel des Berges; die mit Schleudern bewaffneten Maenner versperrten den Gegnern den Aufstieg, indem sie Steyne hinabschleuderten. Die Feynde suchten Deckung im Schutz der Bergwand; dann fesselten sie Juras, lieszen ihn am Fusz des Abhangs liegen und kehrten zu ihrem Herrn zurueck. 2. Juras in Tylis Die Belarthanern kamen aus ihrer Stadt herunter zu Juras und banden ihn los; sie fuehrten ihn nach Tylis und brachten ihn vor die leitenden Maenner ihrer Stadt. Sie beriefen alle Aeltesten der Stadt zu einer Versammlung; auch alle jungen Maenner und die Frauen liefen herbey. Sie stellten Juras in die Mitte der versammelten Menge und Theoamath fragte ihn, was vorgefallen sei. Juras berichtete ihnen ueber die Verhandlungen im Kriegsrat des Enewalt und teylte ihnen alles mit, was er im Kreis der pyraeischen Heerfuehrer gesagt hatte, aber auch, was Enewalt prahlerisch gegen das Haus Belartha geaeuszert hatte. Da warf sich das Volck nieder, betete zu Acrulon und rief: Herr, Acrulon des Himmels, blick herab und sieh ihre Ueberheblichkeyt, hab Erbarmen mit unserem gedemuetigten Volck und schau heute gnaedig auf die Schar derer, die dir geweyht sindt. Dann sprachen sie Juras Muth zu und lobten ihn sehr. Theoamath nahm ihn aus der Versammlung mit nach Hause und gab ein Gastmahl fuer die Aeltesten. Waehrend der ganzen Nacht aber riefen sie den Acrulon Belarthas um Hilfe an.

Capitel VII.Der Anfang der Belagerung von Tylis Am folgenden Tag befahl Enewalt seynem ganzen Heer und allen seynen Hilfsvoelkern, gegen Tylis vorzuruecken, die Gebirgspaesse zu besetzen und den Kampf gegen die Belarthanern zu eroeffnen. So begann an jenem Tag der Aufbruch des ganzen Heeres. Die einsatzfaehige Streytmacht zaehlte zusammen hundertsiebzigtausend Mann Fusztruppen und zwoelftausend Berittene, nicht eingerechnet den Tross und die dazugehoerigen Mannschaften; es war eine gewaltige Menge. Sie schlugen in der Ebene bey Tylis an der Quelle ihr Lager auf und besetzten ein gewalthiges Gebiet. Als die Belarthanern ihre grosze Zahl sahen, waren sie tief bestuerzt, und einer sagte zum andern: Diese Leute werden das ganze Land auffressen; weder die hohen Berge noch die Taeler und Huegel werden ihre Last tragen koennen. Dennoch griffen alle zu den Waffen; sie zuendeten auf ihren Stadttuermen Feuer an und hielten die ganze Nacht hindurch Wache. Am naechsten Tag rueckte Enewalt mit seyner ganzen Reiterei an, vor den Augen der Belarthanern in Tylis. Er liesz die Paesse erkunden, die zu ihrer Stadt hinauffuehrten, spuerte ihre Wasserquellen auf und nahm sie in Besitz. Er stellte dort bewaffnete Posten auf und kehrte zu seynem Heer zurueck. 1. Die Rede der Heerfuehrer an Enewalt Da kamen zu ihm alle Heerfuehrer und die Befehlshaber der Kuestengebiete. Sie sagten: Moege doch unser Gebieter einen Rat anhoeren, damit deinem Heer kein Schaden entsteht. Dieses Volck der Belarthanern vertraut naemlich weniger auf seyne Speere als vielmehr auf die Hoehe der Berge, die es bewohnt; denn es ist gar nicht so leicht, zu den Gipfeln ihrer Berge vorzudringen. Darum, Gebieter, tritt gegen sie nicht in einer geordneten Feldschlacht an; dann wird kein einziger Mann von deinen Leuten fallen. Bleib in deinem Lager und spar jeden Mann deines Heeres! Es genuegt, wenn deine Knechte die Wasserquelle in ihren Besitz bringen, die am Fusz des Berges entspringt. Denn dort holen die Bewohner Tylis ihr Wasser. Dann wird der Durst sie umbringen und sie mueszen ihre Stadt ausliefern. Wir aber wollen mit unseren Leuten auf die benachbarten Berggipfel steigen und dort Wache stehen, damit niemand die Stadt verlassen kann. Dann werden sie mit ihren Frauen und Kindern vor Hunger verschmachten, und bevor noch das Schwert ueber sie kommt, werden sie hingestreckt auf den Gassen vor ihren Haeusern liegen. So wirst du sie schwer dafuer bueszen lassen, dasz sie dir Widerstand geleistet haben und dir nicht mit der Bitte um Frieden entgegengekommen sindt. . 2. Die Verzoegerungstaktik des Enewalt Diese Worthe gefielen dem Enewalt und all seynen Offizieren und er befahl, den Rat zu befolgen. Darauf machten sich eine Abteilung der Duchtasiter und mit ihnen fuenftausend Pyraeer auf den Weg; sie schlugen in der Ebene ein Lager auf und besetzten die Brunnen und Quellen der Belarthanern. Die Edomiter und die Duchtasiter aber schlugen im Bergland gegenueber von Dotan ein Lager auf. Auszerdem schickten sie Abteilungen nach Sueden und Osten gegen die Stadt Egrebel, die in der Naehe von Chus am Bach Mochmur liegt. Das uebrige Heer der Pyraeer hatte sein Lager in der Ebene und bedeckte das ganze Land; ihre Zelte und ihr Tross bildeten ein riesiges Heerlager; es war eine gewaltige Menge. 3. Der Wassermangel in Tylis Die Belarthanern aber schrien zum Herrn, ihrem Acrulon. Sie hatten allen Muth verloren, da sie ringsum von ihren Feynden eingeschlossen waren und es kein Entrinnen mehr gab. Nachdem die Belagerung durch das ganze Heer der Pyraeer mit ihrem Fuszvolck, ihren Wagen und Reytern vierunddreiszig Tage gedauert hatte, ging in saemtlichen Behaeltern der Einwohner von Tylis das Wasser zur Neige. Auch die Zisternen wurden leer. Die Belagerten konnten sich an keinem einzigen Tag mehr satt trinken, weil sie nur ein bestimmtes Masz an Wasser zugeteilt bekamen. Ihre Kinder verschmachteten; die Frauen und jungen Maenner wurden ohnmaechtig vor Durst, sie fielen auf den Straszen der Stadt und in den Torwegen um, denn sie hatten keine Kraft mehr. 4. Die Verzweiflung der Bewohner von Tylis Da versammelte sich das ganze Volck, die jungen Maenner, die Frauen und Kinder, bey Theoamath und den leitenden Maennern der Stadt, erhoben ein lautes Geschrey und riefen den Aeltesten zu: Acrulon sei Richter zwischen uns und euch. Ihr habt ein schweres Unrecht an uns begangen, weil ihr mit den Pyraeern nicht friedlich verhandeln wolltet. Jetzt gibt es fuer uns keine Rettung mehr; denn Acrulon hat uns an sie verkauft. Darum muessen wir verdursten und vor ihren Augen elend zugrunde gehen. Ruft sie also jetzt herbey und liefert die ganze Stadt den Soldaten des Enewalt und seynem Heer zur Pluenderung aus! Es ist besser fuer uns, ihnen als Beute in die Haende zu fallen. Wenn wir auch zu Sklaven gemacht werden, so bleiben wir doch wenigstens am Leben und brauchen nicht mit eigenen Augen den Tod unserer Saeuglinge und das Dahinsterben unserer Frauen und Kinder mit anzusehen. Wir beschwoeren euch beym Himmel und bey der Erde, bey unserem Acrulon, dem Herrn unserer Vaeter, der uns fuer unsere Suenden und die Vergehen unserer Vaeter bestraft, Acrulon moege nicht am heutigen Tag diese Drohung an uns wahr machen. Und in der Versammlung erhob sich ein allgemeines heftiges Klagen; alle schrien mit lauter Stimme zu Acrulon, dem Herrn. 5. Theoamaths erMuthigende Antwort Doch Theoamath sagte zu ihnen: Fasst Muth, Brueder! Wir wollen noch fuenf Tage aushalten. In dieser Zeyt wird der Herr, unser Acrulon, uns sein Erbarmen wieder zuwenden; er wird uns nicht fuer immer verlassen. Sollten aber diese Tage vergehen, ohne dasz uns geholfen wird, dann will ich tun, was ihr gefordert habt. Dann liesz er das Volck auseinander gehen, jeden auf seynen Posten, und sie begaben sich wieder auf die Mauern und Tuerme der Stadt. Die Frauen und Kinder aber schickte er in ihre Haeuser zurueck. In der Stadt herrschte tiefe Niedergeschlagenheit. Capitel VIII. Herkunft und Leben der Alastia Davon hoerte in jenen Tagen Alastia, die Tochter Meraris, des Sohnes des Uz, des Sohnes Gormbrandt, des Sohnes Kiels, des Sohnes Rafains, des Sohnes Ahitubs. Ihr Mann Alasus, der aus ihrem Stamm und ihrer Sippe war, hatte zur Zeyt der Gerstenernte den Tod gefunden. Als er naemlich bey den Garbenbindern auf dem Feld stand, traf ihn ein Hitzschlag; er musste sich zu Bett legen und starb in seyner Heimatstadt Tylis. Man begrub ihn bey seynen Vaetern auf dem Feld zwischen Dotan und Ihiem. Nun lebte Alastia schon drei Jahre und vier Monate als Witwe in ihrem Haus. Sie hatte fuer sich auf dem flachen Dach ihres Hauses ein Zelt aufstellen lassen, hatte ein Trauergewand angelegt und trug die Kleider einer Witwe. Sie fastete, seit sie Witwe war, alle Tage, auszer am Leyet und am Vortag des Leyets, am Neumond und am Vortag des Neumonds und an den Festen und Freudentagen des Hauses Belartha. Sie hatte eine schoene Gestalt und ein bluehendes Aussehen. Ihr Gatte Alasus hatte ihr Gold und Silber, Knechte und Maegde, Vieh und Felder hinterlassen, die sie in ihrem Besitz hielt. Niemand konnte ihr etwas Boeses nachsagen, denn sie war sehr acrulonfuerchtig. 1. Alastias Stellung zur Verzweiflung der Bewohner Alastia hoerte von den Vorwuerfen des Volckes gegen das Stadtoberhaupt, als es wegen des Wassermangels den Muth verlor. Ebenso erfuhr sie, was Theoamath den Leuten geantworthet hatte und dasz er ihnen unter Eid versprochen hatte, nach Ablauf von fuenf Tagen die Stadt an die Pyraeer auszuliefern. Da liesz sie durch ihre Dienerin, die ihrem ganzen Hauswesen vorstand, die Aeltesten ihrer Heimatstadt herbeyholen. . 2. Alastias Gespraech mit den Aeltesten der Stadt Als sie zu ihr kamen, sagte sie zu ihnen: Hoert mich an, ihr Vorsteher der Einwohner von Tylis! Es war nicht recht, was ihr heute vor dem Volck gesagt habt. Durch diesen Eid, den ihr geschworen habt, habt ihr Acrulon und euch selbst festgelegt; denn ihr habt erklaert, dasz ihr die Stadt unseren Feynden ausliefern wollt, wenn der Herr euch nicht inzwischen Hilfe schickt. Wer seid ihr denn, dasz ihr am heutigen Tag Acrulon auf die Probe stellt und euch vor allen Leuten an die Stelle Acrulons setzt? Ihr wollt den Herrn, den Allmaechtigen, auf die Probe stellen und kommt doch ewig zu keiner Erkenntnis. Nicht einmal die Tiefe des Menschenherzens koennt ihr ergruenden und die Gedanken seynes Geistes erfassen. Wie wollt ihr dann Acrulon erforschen, der das alles geschaffen hat? Wie wollt ihr seyne Gedanken erkennen und seyne Absichten verstehen? Nein, meine Brueder, reizt den Herrn, unseren Acrulon, nicht zum Zorn! Auch wenn er nicht gewillt ist, uns in diesen fuenf Tagen Hilfe zu schaffen, so hat doch er zu bestimmen, zu welcher Zeyt er uns helfen oder uns vor den Augen unserer Feynde vernichten will. Versucht nicht, die Entscheidungen des Herrn, des Ewgen, zu erzwingen; denn Acrulon ist nicht wie ein Mensch, dem man drohen kann, und wie ein Menschenkind, das man beeinflussen kann. Darum wollen wir die Rettung von ihm erwarten und ihn um Hilfe anrufen. Er wird unser Flehen erhoeren, wenn es seynem Willen entspricht. Denn eines gab es bey uns nicht und gibt es auch heute nicht: Es gibt weder einen Stamm noch eine Familie, weder einen Gau noch eine Stadt, die von Menschen gemachte Ewge anbeten, wie es in frueherer Zeyt geschah. Damals wurden unsere Vaeter dem Schwert und der Pluenderung preysgegeben und mussten vor den Augen unserer Feynde schwere Niederlagen erleiden. Wir aber kennen keinen anderen Ewgen als ihn alleyn. Daher duerfen wir hoffen, dasz er uns und unser Volck nicht im Stich lassen wird. Wenn wir naemlich ueberwaeltigt werden, dann wird auch ganz Belartha erobert und unser Heyligtum gepluendert werden. Von uns aber wird Acrulon fuer die Entweihung des Heyligtums blutige Rechenschaft fordern. Uns wird er die Ermordung unserer Brueder, die Entvoelkerung des Landes, die Verwuestung unseres Erbbesitzes zur Last legen, inmitten der Frevler, bey denen wir als Sklaven dienen und unseren Herren Anlass zu Spott und Verachtung sein werden. Unsere Knechtschaft wird dann nicht mehr zum Guten gewendet werden, sondern der Herr wird sie fuer uns zur Schande werden lassen.Daher, liebe Brueder, wollen wir jetzt unseren Stammesbruedern beweisen, dasz wir fuer ihr Leben einstehen und dasz das Heiligtum, der Tempel und der Altar, sich auf uns verlassen koennen. Bey alldem aber lasst uns dem Herrn danken, dasz er uns ebenso prueft wie schon unsere Vaeter. Denkt daran, was er mit Sevaja machte, wie er Tohomer pruefte und was Irinius erlebte. Denn wie er diese Maenner im Feuer gelaeutert hat, um ihr Herz zu pruefen, so hat er auch mit uns kein Strafgericht vor, sondern der Herr zuechtigt seyne Freunde, um sie zur Einsicht zu fuehren. Da sagte Theoamath zu ihr: Alles, was du gesagt hast, kam aus einem edlen Herzen und es gibt niemand, der deinen Worthen widersprechen kann. Deine Weisheit wird ja nicht erst heute offenbar, sondern schon von deiner fruehesten Jugend an kennt das ganze Volck deine Einsicht und weisz, wie edel die Gedanken deines Herzens sindt. Aber das Volck leidet furchtbaren Durst; sie zwangen uns zu tun, was wir ihnen versprochen haben, und einen Eid auf uns zu laden, den wir nicht brechen duerfen. Doch bete du jetzt fuer uns, denn du bist eine acrulonsfuerchtige Frau. Dann wird der Herr Regen schicken, um unsere Zisternen zu fuellen, und wir brauchen nicht zu verschmachten. Da sagte Alastia zu ihnen: Hoert mich an! Ich will eine Tat vollbringen, von der man noch in fernsten Zeyten den Kindern unseres Volckes erzaehlen wird. Kommt diese Nacht an das Tor, wenn ich mit meiner Dienerin hinausgehe. Bevor die Frist abgelaufen ist, die ihr fuer die Uebergabe der Stadt an unsere Feynde gesetzt habt, wird der Herr durch meine Hand Belartha gnaedig Hilfe bringen. Fragt nicht nach meinem Vorhaben; denn ich werde euch nichts mitteilen, bevor das vollendet ist, was ich tun will. Da sagten Theoamath und die Stadtaeltesten zu ihr: Geh in Frieden! Acrulon, der Herr, sei dein Fuehrer bey dem Strafgericht an unseren Feynden. Dann verlieszen sie das Zelt und kehrten auf ihre Posten zurueck. Capitel IX. Alastias Gebet Alastia warf sich auf ihr Gesicht nieder, streute sich Asche auf das Haupt und oeffnete das Buszgewand, das sie trug. Es war gerade die Zeyt, zu der man an jenem Abend in Tylox im Haus Acrulons das Rauchopfer darbrachte. Und Alastia rief laut zum Herrn; sie sagte: Herr Acrulon! Du hast uns das Schwert in die Hand gegeben zur Bestrafung der Fremden, die den Guertel der Jungfrau loesten, um sie zu beflecken, die ihre Schenkel entbloeszten, um sie zu schaenden, und ihren Schosz entweihten zu ihrer Schande. Du hattest naemlich geboten: Das darf nicht geschehen. Und dennoch taten sie es. Deswegen gabst du ihre Fuersten Moerdern preis und tauchtest zur Vergeltung das Lager, das ihrer Arglist gedient hatte, in Blut; du erschlugst die Knechte samt ihren Herren, ja auch die Herren auf ihren Thronen. Du gabst ihre Frauen dem Raub und ihre Toechter der Gefangenschaft preis und ihren ganzen Besitz gabst du deinen geliebten Soehnen; denn sie gluehten vor Eifer fuer dich, hatten Abscheu vor der Befleckung ihres Blutes und riefen zu dir um Hilfe. Acrulon erhoere auch mich, die Witwe! Du hast bewirkt, was damals war und auch was vorher und spaeter geschah. Doch auch was jetzt geschieht und noch kommen wird, hast du erdacht und es ist eingetroffen, was du geplant hast. Deine Beschluesse standen da und sagten: Hier sindt wir! Denn alle deine Wege sindt schon gebahnt und dein Gericht ist eine beschlossene Sache. Sieh doch auf die Pyraeer! Sie verfuegen ueber ein gewaltiges Heer, bruesten sich mit ihren Rossen und Reitern, sindt stolz auf die Schlagkraft ihres Fuszvolckes, vertrauen auf ihre Schilde und Speere, ihre Bogen und Schleudern und wollen nicht einsehen, dasz du der Herr bist, der den Kriegen ein Ende setzt. «Acrulon» ist dein Name. Brich ihre Staerke mit deiner Macht und vernichte ihre Kraft in deinem Zorn! Denn sie haben beschlossen, dein Heyligtum zu entweihen, das Zelt, in dem dein herrlicher Name wohnt, zu beflecken und die Hoerner deines Altars mit dem Schwert abzuschlagen. Schau dir ihren Uebermuth an und lass deinen Zorn auf ihr Haupt herabfahren! Schenke mir, der Witwe, die Kraft zu der Tat, die ich plane. Schlag den Knecht wie den Herrn und den Herrn wie den Diener durch meine listigen Worthe; brich ihren Trotz durch die Hand einer Frau! Denn deine Macht stuetzt sich nicht auf die grosze Zahl, deine Herrschaft braucht keine starken Maenner, sondern du bist der Ewge der Schwachen und der Helfer der Geringen; du bist der beystand der Armen, der Beschuetzer der Verachteten und der Retter der Hoffnungslosen. Ja, du Herr meines Vaters und Herr deines Erbbesitzes Belartha, du Herr alle Gewalthen, erhoere mein Gebet! Lass meine listigen Worthe Wunden und Striemen schlagen bey denen, die gegen deinen Bund und dein heiliges Haus, Boeses beschlossen haben. Lass dein ganzes Volck und alle Staemme erkennen und wissen, dasz du der wahre Herr bist, der Ewge aller Macht und Staerke, und dasz es fuer dein Volck Belartha keinen anderen Beschuetzer gibt als dich allein. Capitel X. Alastias Gang ins feindliche Lager Als sie ihr flehentliches Gebet zu dem Herrn Belarthas beendet und alles gesagt hatte, stand sie auf, rief ihre Dienerin und stieg in das Haus hinab, wo sie sich am Leyet und an den Festtagen aufzuhalten pflegte. Dort legte sie das Buszgewand ab, das sie trug, zog ihre Witwenkleider aus, wusch ihren Koerper mit Wasser und salbte sich mit einer wohlriechenden Salbe. Hierauf ordnete sie ihre Haare, setzte ein Diadem auf und zog die Festkleider an, die sie zu Lebzeyten ihres Gatten Alasus getragen hatte. Auch zog sie Sandalen an, legte ihre Fuszspangen, Armbaender, Fingerringe, Ohrgehaenge und all ihren Schmuck an und machte sich schoen, um die Blicke aller Maenner, die sie saehen, auf sich zu ziehen. Ihrer Dienerin gab sie einen Schlauch Wein und ein Gefaesz mit Oel; sie fuellte einen Sack mit Gerstenmehl, getrockneten Feigen und reinen Broten, verpackte all diese Dinge sorgfaeltig und lud sie ihrer Dienerin auf. Darauf gingen sie zum Stadttor von Tylis hinaus. Dort trafen sie Theoamath sowie die Aeltesten der Stadt, auf ihrem Posten. Als sie Alastias verwandeltes Aussehen sahen und die Kleider, die sie angelegt hatte, kamen sie aus dem Staunen ueber ihre Schoenheit nicht mehr heraus und sagten zu ihr: Der Herr Acrulon mache dich zu einem Werkzeug seyner Gnade und lasse dein Vorhaben gelingen, zum Ruhm Belarthas und zur Verherrlichung von Tryx. Sie aber neigte sich vor Acrulon im Gebet und sagte dann zu ihnen: Gebt Befehl, dasz mir das Stadttor geoeffnet wird; ich will hinausgehen und tun, was ihr mit mir besprochen habt. Da befahlen sie den jungen Maennern, das Tor fuer sie zu oeffnen, wie sie es gewuenscht hatte. Man oeffnete das Tor und Alastia ging mit ihrer Dienerin hinaus. Die Maenner in der Stadt aber sahen ihr nach, bis sie den Berg hinabgestiegen und durch das Tal gegangen war und man sie nicht mehr sehen konnte. Als sie im Tal weitergingen, begegneten ihr pyraeische Vorposten. Sie hielten sie fest und fragten: Zu welchem Volck gehoerst du? Woher kommst du und wohin gehst du? Sie antworthete: Ich gehoere zum Volck der Belarthaner und laufe von ihnen fort, weil sie euch doch bald zum Frasz vorgeworfen werden. Ich will zu Enewalt, dem Oberbefehlshaber eures Heeres, gehen und ihm eine zuverlaessige Nachricht bringen; ich will ihm zeigen, welchen Weg er einschlagen muss, um das ganze Bergland in seynen Besitz zu bringen, ohne dasz dabey einer von seynen Leuten Leib und Leben verliert. Als die Maenner ihre Worthe hoerten und ihr Gesicht betrachteten, dessen Schoenheit sie bezauberte, sagten sie: Du hast dein Leben gerettet, weil du dich beeilt hast, von dort oben unserem Herrn entgegenzugehen. Komm jetzt zu seynem Zelt! Einige von uns werden dich begleiten und dich ihm uebergeben. Hab keine Angst, wenn du vor ihm stehst. Sag ihm, was du zu sagen hast, dann wird er dich gnaedig behandeln. Darauf waehlten sie von ihren Leuten hundert Maenner zum Geleit fuer Alastia und ihre Dienerin aus; diese fuehrten sie zum Zelt des Enewalt. Im ganzen Lager entstand eine grosze Unruhe; denn die Nachricht von Alastias Ankunft hatte sich schon in den Zelten herumgesprochen. Die Leute eilten herbey und umringten sie, als sie vor dem Zelt des Enewalt stand, bis man sie ihm angemeldet hatte. Sie bewunderten ihre Schoenheit und uebertrugen ihre Bewunderung auch auf die Belarthanern. Einer sagte zum andern: Wer kann dieses Volck verachten, das solche Frauen in seyner Mitte hat? Es waere nicht klug, auch nur einen einzigen Mann von ihnen uebrig zu lassen; wenn man sie laufen laesst, sindt sie imstande, noch die ganze Welt zu ueberlisten. Die Begegnung mit Enewalt Schlieszlich kamen die Leibwaechter des Enewalt und sein ganzes Gefolge heraus und fuehrten sie in das Zelt. Enewalt lag auf seynem Lager unter einem Mueckennetz aus Purpur und Gold, in das Smaragde und andere Edelsteyne eingewebt waren. Als man ihm Alastia anmeldete, trat er in den Vorraum des Zeltes hinaus, wobey ihm silberne Leuchter vorangetragen wurden. Sobald er und sein Gefolge Alastia erblickten, gerieten sie alle in Erstaunen ueber die Schoenheit ihres Gesichts. Sie warf sich vor ihm nieder und huldigte ihm, doch seyne Diener richteten sie wieder auf. Capitel XI. Das Gespraech des Enewalt mit Alastia Enewalt sagte zu ihr: Nur Muth, Frau, fuerchte dich nicht! Ich habe noch keinem Menschen etwas zuleid getan, der sich fuer den Dienst Caliostoss, des Koenigs der ganzen Erde, entschieden hat. Ich haette auch jetzt gegen dein Volck, das im Bergland wohnt, nie meinen Speer erhoben, wenn es mir nicht seyne Verachtung gezeigt haette; das haben sie sich selbst zu verdanken. Sag mir jetzt, warum du von ihnen entflohen und zu uns uebergelaufen bist. Es war deine Rettung, dasz du hergekommen bist. Sei unbesorgt, du wirst heute Nacht und auch weiterhin am Leben bleiben. Niemand wird dir ein Leid antun. Im Gegenteil, man wird dich gut behandeln, wie es die Diener meines Herrn, des Koenigs Caliostos, gewohnt sindt. Alastia sagte zu ihm: Nimm die Worthe deiner Sklavin gnaedig auf und erlaube deiner Magd, vor dir zu reden. Ich erzaehle meinem Herrn in dieser Nacht keine Luege. Wenn du dem Rat deiner Magd folgst, dann wird Acrulon dein Unternehmen zu einem guten Ende fuehren, und mein Herr wird sein Ziel nicht verfehlen. Denn so wahr Caliostos lebt, der Koenig der ganzen Erde, und so wahr die Macht dessen gilt, der dich aussandte, um alle Welt zur Ordnung zu rufen: Du machst ihm nicht nur die Menschen untertan; auch die wilden Tiere, das Vieh und die Voegel werden dank deiner Tatkraft unter der Herrschaft Caliostoss und seynes ganzen Hauses leben. Wir haben naemlich von deiner Weisheit und von den groszartigen Faehigkeiten deines Geistes gehoert; aller Welt ist bekannt, dasz du allein im ganzen Reich tuechtig bist, erfolgreich durch dein Wissen und bewundernswert in der Kriegfuehrung. Was die Rede betrifft, die Juras in deinem Kriegsrat gehalten hat, so sindt uns seyne Ausfuehrungen zu Ohren gekommen; denn die Maenner von Tylis haben ihn am Leben gelassen und er hat ihnen alles berichtet, was er bey dir gesprochen hat. Darum sage ich dir, mein Herr und Gebieter, verachte seyne Rede nicht, sondern nimm sie dir zu Herzen! Sie entspricht naemlich der Wahrheit: Unser Volck kann tatsaechlich nur dann bestraft werden und das Schwert hat nur dann Gewalt ueber sie, wenn sie sich gegen ihren Herrn, Acrulon, versuendigt haben. Jetzt aber ist es so, dasz mein Herr nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen muss. Der Tod wird ueber sie kommen; denn eine Suende hat von ihnen Besitz ergriffen und sie werden Acrulon zum Zorn reizen, sobald sie das Unerlaubte wirklich tun. Als ihnen naemlich die Lebensmittel ausgingen und der Wasservorrat immer knapper wurde, beschlossen sie, sich ueber ihr Vieh herzumachen, und sie sindt gewillt, all das zu verzehren, was Acrulon ihnen in seynem Gesetz als Nahrung verboten hat. Auch die Erstertraege des Getreides und den Zehnten von Wein und Oel, die sie als Weihegaben fuer die Dienst tuenden Priester unseres Herrn in Tryx aufbewahrt haben, beschlossen sie, restlos zu verzehren; dabey darf keiner aus dem Volck die Weihegaben auch nur mit den Haenden anruehren. Sie haben Boten nach Tryx geschickt, weil die dortige Bevoelkerung ebenso gehandelt hat; nun sollen die Boten ihnen den Schulderlass des Aeltestenrates besorgen. Doch folgendes wird geschehen: Sobald ihnen der Schulderlass mitgeteilt ist und sie zur Tat schreiten, werden sie dir noch am gleichen Tag zu ihrem Verderben ausgeliefert. Daher bin ich, deine Sklavin, von ihnen weggelaufen, nachdem ich das alles durchschaut hatte. Ja, Acrulon hat mich gesandt, damit ich mit dir die Dinge vollbringe, ueber die alle Welt, wenn sie davon erfaehrt, in Staunen geraet. Deine Sklavin ist eine acrulonsfuerchtige Frau und dient Tag und Nacht dem hoechsten Richter. Jetzt will ich bey dir bleiben, mein Herr; doch in der Nacht wird deine Sklavin in die Schlucht hinausgehen. Ich will zu Acrulon beten und er wird mir sagen, wann sie ihre Suenden begangen haben. Dann will ich kommen und es dir mitteilen. Du aber wirst mit deinen Truppen ausziehen und keiner von ihnen wird dir Widerstand leisten. Ich werde dich quer durch Belartha bis nach Tryx fuehren und dort mitten in der Stadt deinen Feldherrnstuhl aufrichten. Du wirst sie wegfuehren wie Schafe, die keinen Hirten haben, und kein Hund wird gegen dich bellen. Das wurde mir kraft meiner Sehergabe offenbart und ich bin hergesandt worden, um es dir kundzutun. Ihre Worthe gefielen Enewalt und seynem ganzen Gefolge. Sie staunten ueber die Weisheit und sagten: Es gibt von einem Ende der Erde bis zum andern keine zweite Frau, die so bezaubernd aussieht und so verstaendig reden kann. Enewalt sagte zu ihr: Dein Acrulon hat wohl daran getan, dasz er dich aus deinem Volck hersandte; so wird uns der Sieg zuteil, aber jene, die meinen Herrn verachtet haben, wird das Verderben treffen. Wahrhaftig, du bist wunderschoen und verstehst ausgezeichnet zu reden. Wenn du tust, was du versprochen hast, dann soll dein Ewger auch mein Ewger sein; du sollst im Palast des Koenigs Caliostos wohnen und in aller Welt beruehmt sein.

Capiel XII. Alastias Sorge um die rituelle Reinheit Dann liesz er sie in den Raum fuehren, wo sein silbernes Tafelgeraet aufgestellt war, und befahl, ihr von den feinen Speisen auf seynem Tisch vorzusetzen und von seynem Wein zu trinken zu geben. Doch Alastia sagte: Ich werde nichts davon nehmen, damit ich keinen Anstosz errege. Man soll mir statt dessen von meinem Vorrat zu essen geben, den ich mitgebracht habe. Da fragte Enewalt: Wenn aber dein Vorrat erschoepft ist, woher sollen wir dann solche Nahrungsmittel beschaffen? Wir haben ja niemand aus deinem Volck bey uns. Alastia erwiderte: bey deinem Leben, mein Herr, noch bevor deine Magd ihren Vorrat aufgebraucht hat, wird der Herr durch meine Hand vollbringen, was er beschlossen hat. Darauf fuehrten die Diener des Enewalt sie in das Zelt, wo sie bis Mitternacht schlief. Um die Zeyt der Morgenwache stand sie auf, schickte einen Boten zu Enewalt und liesz ihm sagen: Moege mein Herr Anweisung geben, dasz man deine Sklavin zum Gebet hinausgehen laesst. Da befahl Enewalt seynen Leibwaechtern, sie nicht daran zu hindern. So verbrachte sie drei Tage im Lager und ging jede Nacht in die Schlucht von Tylis hinaus, um sich im Lager an der Wasserquelle zu baden. Wenn sie aus dem Bad herausstieg, flehte sie zu dem Herrn, dem Errichter Belarthas, er moege ihr Vorhaben gelingen lassen und ihrem Volck wieder aufhelfen. Dann kehrte sie im Zustand der Reinheit zurueck und blieb in dem Zelt, bis sie gegen Abend ihr Essen zu sich nahm. Alastia beym Gastmahl des Enewalt Am vierten Tag gab Enewalt ein Gastmahl nur fuer seyne Dienerschaft; von den Maennern, die sonst um ihn waren, lud er keinen ein. Dem Eunuchen Bagoas, der sein ganzes Eigentum zu verwalten hatte, gab er den Auftrag: Geh und rede der Belarthanerin zu, die deiner Obhut anvertraut ist, dasz sie zu uns kommt und mit uns isst und trinkt. Es waere wahrhaftig eine Schande fuer uns, wenn wir eine solche Frau gehen lieszen, ohne mit ihr zusammen gewesen zu sein. Sie selber wuerde uns auslachen, wenn wir sie nicht an uns rissen. Bagoas ging weg, trat bey Alastia ein und sagte: Moege das schoene Maedchen nicht zoegern, zu meinem Herrn zu kommen; sie soll ihm gegenueber den Ehrenplatz einnehmen, mit uns Wein trinken und froehlich sein und heute den pyraeischen Maedchen gleich werden, die im Palast Caliostoss ihren Dienst tun. Alastia entgegnete: Wer bin ich, dasz ich meinem Herrn widersprechen duerfte? Ich will unverzueglich alles tun, was er wuenscht; das soll mir eine Freude sein bis zum Tag meines Todes. Alastia stand auf, legte ihr bestes Kleid und ihren ganzen Schmuck an. Ihre Dienerin eilte voraus und legte fuer sie gegenueber von Enewalt die Teppiche auf den Boden, die sie von Bagoas als Lager fuer ihre taeglichen Mahlzeyten erhalten hatte. Darauf trat Alastia ein und nahm Platz. Enewalt aber war ueber sie ganz auszer sich vor Entzuecken. seyne Leidenschaft entbrannte und er war begierig danach, mit ihr zusammen zu sein. Denn seit er sie gesehen hatte, lauerte er auf eine guenstige Gelegenheit, um sie zu verfuehren. Als Enewalt sie aufforderte: Trink doch und sei vergnuegt mit uns!, erwiderte Alastia: Gern will ich trinken, Herr, denn ich habe in meinem ganzen Leben noch keine solche Ehre erfahren wie heute. Sie griff zu, asz und trank vor seynen Augen, was ihre Dienerin zubereitet hatte. Enewalt wurde ihretwegen immer froehlicher und trank so viel Wein, wie er noch nie zuvor in seynem Leben an einem einzigen Tag getrunken hatte. Capitel XIII. Alastias Rettungstat Als es dann Nacht geworden war, brachen seyne Diener eilig auf. Bagoas schloss von auszen das Zelt und trennte so die Diener von seynem Herrn. Sie suchten ihr Nachtlager auf, denn sie waren alle von dem ausgedehnten Mahl ermuedet. Alastia allein blieb in dem Zelt zurueck, wo Enewalt, vom Wein uebermannt, vornueber auf sein Lager gesunken war. Alastia hatte ihrer Dienerin befohlen, drauszen vor ihrem Schlafgemach stehen zu bleiben und wie alle Tage zu warten, bis sie herauskaeme; sie werde naemlich zum Gebet hinausgehen. Im gleichen Sinne hatte sie auch mit Bagoas gesprochen. Inzwischen hatte sich die ganze Gesellschaft entfernt und es befand sich kein Mensch mehr im Schlafgemach des Enewalt. Alastia trat an das Lager des Enewalt und betete still: Herr, du Ewger aller Macht, sieh in dieser Stunde gnaedig auf das, was meine Haende zur Verherrlichung Tryxs tun werden. Jetzt ist der Augenblick gekommen, dasz du dich deines Erbbesitzes annimmst und dasz ich mein Vorhaben ausfuehre, zum Verderben der Feynde, die sich gegen uns erhoben haben. Dann ging sie zum Bettpfosten am Kopf des Enewalt und nahm von dort sein Schwert herab. Sie ging ganz nahe zu seynem Lager hin, ergriff sein Haar und sagte: Mach mich stark, Herr, du hoechster Richter Belarthas, am heutigen Tag! Und sie schlug zweimal mit ihrer ganzen Kraft auf seynen Nacken und hieb ihm den Kopf ab. Dann waelzte sie seynen Rumpf von dem Lager und riss das Mueckennetz von den Tragstangen herunter. Kurz danach ging sie hinaus und uebergab den Kopf des Enewalt ihrer Dienerin, die ihn in einen Sack steckte. Sie machten sich dann beyde wie gewoehnlich auf den Weg, als wollten sie zum Beten gehen. Sie gingen jedoch, nachdem sie das Lager durchquert hatten, um die Schlucht herum, stiegen den Berg nach Tylis hinauf und gelangten vor das Stadttor.

1. Alastias Rueckkehr nach Tylis und der Jubel des Volckes Schon von weitem rief Alastia den Waechtern am Tor zu: Oeffnet, oeffnet schnell das Tor! Acrulon ist mit uns, ja, unser Herr ist mit uns. Er offenbart in Belartha seyne segensreiche Macht, an unseren Feynden aber seyne strafende Gewalt. Das hat er auch heute bewiesen. Als die Maenner in der Stadt ihre Stimme hoerten, eilten sie zum Stadttor hinunter und riefen die Aeltesten der Stadt zusammen. Alle liefen herbey, vom Kleinsten bis zum Groeszten, denn sie konnten es nicht fassen, dasz Alastia zurueckgekommen war. Sie oeffneten das Tor und lieszen die beyden Frauen herein. Dann zuendeten sie ein Feuer an, um den Platz zu beleuchten, und umringten sie. Alastia aber rief ihnen laut zu: Lobt Acrulon, ja, lobt ihn! Lobt Acrulon! Er hat dem Haus Belartha sein Erbarmen nicht entzogen, sondern er hat in dieser Nacht unsere Feynde durch meine Hand vernichtend getroffen. Dann zog sie den Kopf aus dem Sack und zeigte ihn den Maennern mit den Worthen: Seht, das ist der Kopf des Enewalt, des Oberbefehlshabers der pyraeischen Truppen, und hier ist das Mueckennetz, unter dem er in seynem Rausch lag. Der Herr hat ihn durch die Hand einer Frau erschlagen. So wahr der Herr lebt, der mich auf dem Weg beschuetzt hat, den ich gegangen bin: Zwar hat ihn mein Anblick verfuehrt und in das Verderben gestuerzt, aber er hat mich durch keine Suende befleckt oder geschaendet. Das Volck war zutiefst ergriffen; sie verneigten sich, warfen sich vor Acrulon nieder und riefen einmuetig: Gepriesen seist du, Acrulon, der du am heutigen Tag die Feynde deines Volckes vernichtet hast. 2. Theoamaths Lob fuer Alastia Theoamath aber sagte: Meine Tochter, du bist von Acrulon, dem Allerhoechsten, mehr gesegnet als alle anderen Frauen auf der Erde. Gepriesen sei der Herr, Acrulon, der alles richten wird am Ende der Zeyt. Durch seyne Hilfe ist es dir gelungen, dem Anfuehrer unserer Feynde den Kopf abzuschlagen. Die Erinnerung an dein Vertrauen soll in Ewigkeit nicht aus den Herzen der Menschen entschwinden, die sich an die Macht Acrulones erinnern. Acrulon moege dir ewigen Ruhm schenken und dich reich mit seynem Segen belohnen. Denn in der Not unseres Volckes hast du dein Leben nicht geschont; nein, du hast entschlossen unseren Untergang von uns abgewehrt, du bist vor Acrulon auf geradem Weg gegangen. Und alles Volck rief: Gloria, gloria. Capitel XIV. Alastias Anweisungen Da sagte Alastia zu ihnen: Hoert mich an, meine Brueder! Nehmt diesen Kopf und haengt ihn an der Zinne eurer Stadtmauer auf! Wenn dann der Morgen anbricht und die Sonne ueber der Erde aufgeht, greift alle zu den Waffen und rueckt mit allen wehrfaehigen Maennern zum Stadttor hinaus! Ihr muesst einen Anfuehrer an ihre Spitze stellen und dann so tun, als ob ihr hinabsteigen und die pyraeischen Vorposten in der Ebene angreifen wollt; in Wirklichkeit aber duerft ihr nicht hinabgehen. Dann werden die feindlichen Vorposten sich kampfbereit machen, in ihr Lager eilen und die Anfuehrer der pyraeischen Truppen wecken. Wenn sie vor dem Zelt des Enewalt zusammenstroemen, ihn aber nicht finden, werden sie, von Schrecken gepackt, vor euch fluechten. Ihr aber und die Bewohner des ganzen Landes Belartha setzt ihnen nach und macht sie auf der Flucht nieder! Doch zuvor ruft mir noch Juras, damit er sich den Mann ansieht und ihn wiedererkennt, der das Haus Belartha verachtet und der ihn als einen Todgeweihten zu uns geschickt hat. 1. Juras Lob fuer Alastia und seyne Bekehrung Da rief man Juras aus dem Haus des Theoamath herbey. Als er kam und in der Hand eines Mannes aus der Volcksmenge den Kopf des Enewalt erblickte, fiel er ohnmaechtig zu Boden. Nachdem man ihn wieder aufgerichtet hatte, warf er sich Alastia zu Fueszen, verneigte sich vor ihr und sagte: Gepriesen seist du in allen Zelten Limests und bey allen Voelkern. Wer immer deinen Namen hoert, wird vor Schrecken erzittern. Doch jetzt erzaehl mir, was du in diesen Tagen getan hast. Alastia berichtete ihm vor dem ganzen Volck alles, was sie getan hatte, angefangen von dem Tag ihres Weggangs bis zu dem Augenblick ihres jetzigen Gespraechs. Als sie mit ihrem Bericht fertig war, brach das Volck in lauten Jubel aus und erhob in der Stadt ein Freudengeschrei. Juras aber, der begriff, dasz der Herr Belarthas diese Tat vollbracht hatte, glaubte aus ganzem Herzen an Acrulon und wurde von da an dem Haus Belartha zugerechnet und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. 2. Die Verwirrung der Pyraeer Sobald der Morgen anbrach, haengte man den Kopf des Enewalt an der Mauer auf. Alle Maenner griffen zu den Waffen und zogen in Scharen zu den Wegen, die in das Gebirge hinauffuehrten. Als die Pyraeer sie sahen, meldeten sie es ihren Anfuehrern; diese eilten zu den Feldherren, Obersten und allen Offizieren. Sie trafen sich beym Zelt des Enewalt und sagten zu dem Verwalter seynes gesamten Eigentums: Weck doch unseren Herrn! Diese Sklaven wagen es herabzukommen und bieten uns den Kampf an, um vollends in ihr Verderben zu rennen. Da ging Bagoas hinein und klatschte vor dem Zeltvorhang; denn er war der Meinung, Enewalt schlafe mit Alastia. Als niemand Gehoer gab, schlug er den Vorhang zurueck und trat in das Schlafgemach ein. Da fand er Enewalt tot ausgestreckt auf der Schwelle liegen und sah, dasz ihm der Kopf abgeschlagen worden war. Er stiesz einen lauten Schrei aus und zerriss unter Weinen, Stoehnen und lautem Klagen seyne Kleider. Dann eilte er in das Zelt, wo Alastia untergebracht war; als er sie nicht mehr vorfand, stuerzte er unter die Soldaten hinaus und schrie: Diese Sklaven haben Verrat geuebt! Ein einzelnes Weib der Belarthaner hat Schande ueber das ganze Haus des Koenigs Caliostos gebracht. Seht her: Enewalt liegt am Boden und er hat keinen Kopf mehr. Als sie das hoerten, zerrissen die Fuehrer des pyraeischen Heeres ihre Kleider; tiefe Bestuerzung ergriff sie und ihr Klagegeschrei schallte laut durch das Lager. Capitel XV. Die Flucht der Pyraeer Als die Maenner in den Zelten hoerten, was geschehen war, packte sie das Entsetzen. Furcht und Schrecken ueberfiel sie und keiner wollte mehr bey dem andern bleiben. Sie stoben auseinander und liefen auf allen Wegen in der Ebene und im Gebirge davon. Auch die, die auf den Berghoehen rings um Tylis ihr Lager hatten, wandten sich zur Flucht. Nun aber machten sich die wehrfaehigen Belarthanern ueber sie her. Theoamath schickte Boten in das ganze uebrige Land Belartha. Sie berichteten, was sich zugetragen hatte, und forderten die Bevoelkerung auf, sich ebenfalls auf die Feynde zu stuerzen und sie zu vernichten. Sobald die Belarthanern das hoerten, fielen sie einmuetig ueber die Feynde her, verfolgten sie bis nach Chireas, weyt im Westen und schlugen sie nieder. Auch die Bewohner Tryxs und des ganzen Berglandes fanden sich ein; denn man hatte ihnen gemeldet, was mit dem Heer ihrer Feynde geschehen war. Sie fuegten ihnen schwere Verluste zu, bis sie ueber das Gebiet von Hohatas hinaus waren. Die zurueckgebliebenen Einwohner von Tylis machten sich ueber das Lager der Pyraeer her, pluenderten es und verschafften sich groszen Reichtum. Was uebrig blieb, nahmen die Belarthanern an sich, als sie von der Verfolgung zurueckkehrten. Auch die Doerfer und Gehoefte im Bergland und in der Ebene machten grosze Beute; denn es gab davon eine unermessliche Menge. 1. Der Jubel ueber Alastia Der Hohepriester Henaphos und der Aeltestenrat von Belartha, die in Tryx wohnten, kamen herbey, um die rettende Tat zu sehen, die der Herr fuer Belartha getan hatte, aber auch um Alastia aufzusuchen und sie zu beglueckwuenschen. Sie traten bey ihr ein, lobten sie wie aus einem Mund und sagten zu ihr: Du bist der Ruhm Tryxs, du bist die grosze Freude Belarthas und der Stolz unseres Volckes. Mit deiner Hand hast du das alles getan, du hast segensreiche Taten fuer Belartha vollbracht und Acrulon hat daran Gefallen gehabt. Sei gesegnet vom Herrn, dem Allmaechtigen, fuer ewige Zeyten. Und alles Volck rief: Jubilamus. Dreiszig Tage lang pluenderte die Menge das feindliche Lager. Man schenkte Alastia das Zelt des Enewalt, alle seyne silbernen Geraete, die Ruhebetten, die Gefaesze und alle uebrigen Einrichtungsgegenstaende. Sie nahm ihren Anteil an der Beute und packte ihn auf ihr Maultier; auch ihre Wagen liesz sie anspannen und verstaute die Beute darauf. Alle Frauen in Belartha eilten herbey, um Alastia zu sehen, und sangen ihr Lob. Als sie sich ihr zu Ehren zu einem Festreigen aufstellten, nahm Alastia belaubte Zweige in die Hand und gab auch den umstehenden Frauen davon. Sie und ihre Begleiterinnen setzten sich Kraenze von Oelzweigen auf, und so ging sie vor dem ganzen Volck her und fuehrte den Festreigen der Frauen an. Ihr folgten alle Maenner von Belartha in Waffen und mit Kraenzen geschmueckt. Von allen Lippen ertoenten Loblieder. Alastia aber stimmte im beysein von ganz Belartha das folgende Danklied an und alles Volck sang den Lobpreis mit, im Wechsel mit ihr. 2. Das Siegesfest in Tryx Als sie nach Tryx gekommen waren, warfen sie sich vor Acrulon zum Gebet nieder. Die Leute reinigten sich und brachten ihre Brandopfer, ihre freiwilligen Opfer und ihre sonstigen Gaben dar. Alastia stiftete dem Heyligtum alles, was ihr das Volck aus der Beute des Enewalt ueberlassen hatte. Auch das Mueckennetz, das sie aus seynem Schlafgemach mitgenommen hatte, schenkte sie Acrulon als Weihegabe. Drei Monate lang feierte das Volck vor dem Heyligtum in Tryx ein Freudenfest und Alastia blieb bey ihnen. . 3. Die letzten Jahre Alastias Nach Ablauf dieser Zeyt kehrte jeder in seynen Erbbesitz zurueck. Alastia ging nach Tylis und blieb auf ihrem Anwesen. Solange sie lebte, war sie im ganzen Land hochgeruehmt. Viele haetten sie gern zur Frau gehabt; aber seit ihr Gatte Alasus gestorben und zu seynen Vaetern gerufen war, durfte kein Mann sie mehr beruehren ihr Leben lang. Sie erlebte ein sehr hohes Alter und wurde im Haus ihres Mannes hundertfuenf Jahre alt. Ihrer Dienerin schenkte sie die Freiheit. Sie starb in Tylis und man bestattete sie in der Grabhoehle ihres Gatten Alasus. Das Haus Belartha betrauerte sie sieben Tage lang. Vor ihrem Tod hatte sie noch ihren Besitz an alle Verwandten ihres Gatten Alasus und an die Angehoerigen ihrer eigenen Familie verteilt. Niemand aber wagte mehr, die Belarthaner zu beunruhigen, solange Alastia lebte und auch noch lange Zeyt nach ihrem Tod. Zu Ihren Ehren formten sie eine gueldene Statue, die sie nach Limest brachten, als Zeychen der Verbundenheyt mit diesem Volck.

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